Anmerkung zur Anmerkung von „NRW- Antifas“ zu „Antifa: denken und handeln!“

Dies ist ein weiterer Debattenbeitrag zur Diskussion und Reaktion auf diesen Text: https://de.indymedia.org/node/378606

Danke an die ostdeutschen Antifas für den Aufschlag in der Debatte. In der Anmerkung wird es jedoch um die Reaktion der NRW-Antifas gehen, zeigt doch die recht schnelle Reaktion aus NRW weitere Probleme der „Zeit zu handeln“ Erklärung und der unterstützenden Gruppen auf.

  1. Auf Bundesebene sind linksradikale Strukturen nicht in der Lage, derartig große, in der Gesellschaft wahrnehmbare Proteste aufzubauen

Im Intro gibt es von den Antifas aus NRW noch eine zeitliche Einordnung der „Zeit zu Handeln“ Erklärung, nämlich „um den AfD-Parteitag“ in Essen. Auffälligerweise, wird über diesen jedoch kein Wort verloren. Zwar werden viele Fragen und Konfliktlinien aufgemacht und letztendlich geschrieben „Da hilft der Text von „Zeit zu handeln“ wenig, wenn einige der Unterzeichnergruppen ein Teil des Problems sind.“, doch eine Analyse und Auswertung der Situation zu Essen, findet aus NRW nicht statt. Überhaupt findet sich auf Indymedia zu Essen (nicht im Openposting geblieben) nur ein sehr persönliches Plädoyer https://de.indymedia.org/node/375726. Wieso mangelt es an selbstkritischen Auswertungen? Liegt es daran, dass für das nicht erreichen der Ziele den AfD-Parteitag zu verhindern oder effektiv zu stören, die klassischen Argumentationen wie:

  • linke Grabenkämpfe, die die „Kampfformen“ stören
  • mangelnder „Klassenkampf“ und das Fehlen des richtigen „Bewusstsein“
  • „Antideutsche“

nicht heran gezogen werden konnten?

Stattdessen wieder nur das Mantra: „Ohne die Polizeigewalt hätte der AfD-Parteitag nicht stattgefunden.“ (https://www.anti-kapitalismus.org/2024/06/29/kurze-anmerkungen-zu-den-pr…)

Die Antifas es NRW stellen fest: „Mit Blick auf das Kräfteverhältnis werden wir das Anrollen der AfD nicht stoppen können, wenn die radikale Linke so weitermacht wie bisher.“

Wieso wird dieses „Anrollen“, wie es die „Zeit zu Handeln“-Erklärung ebenfalls tut, nur mit den Landtagswahlen im Osten (Thüringen, Sachsen Brandenburg) in Verbindung gebracht? Als hätte es keine guten Wahlergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern 2023 gegeben, als wäre bei den Europawahlen in Baden-Württemberg und Bayern die AfD nicht auch zweitstärkste Kraft geworden. In Bayern haben seit 2023 die CSU, Freien Wähler und AfD zusammen 67,4%, was wir jedoch bisher nicht von den westdeutschen Antifas in Erklärungen wie bei der „Zeit zu Handeln“ dazu gelesen haben:

„Wir werden deshalb die Wahlsiege der Faschist:innen im September nicht unwidersprochen hinnehmen. Wir werden den Wahlkampf der AfD und ihre Wahlpartys stören, Proteste gegen das Erstarken der Rechten organisieren und den Faschist:innen im Osten nicht die Straße überlassen. Wir rufen bundesweit alle Antifaschist:innen auf, sich lokal wie überregional an den Protesten gegen die Wahlerfolge der AfD zu beteiligen und diese zu organisieren.“

Wieso finden sich bei der „Zeit zu Handeln“-Erklärung zu den Landtagswahlen im Osten im September keine Gruppen aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg? (Verwirrung gab es um eine Gruppe aus Leipzig, die jetzt wieder verschwunden ist) Ist das immer noch „die Crux mit den Ossis“ (https://www.inventati.org/leipzig/?p=2791), wie aus der Zeit der gescheiterten „Wohlfahrtsausschüssen“ aus den 90er Jahren? Eigentlich sollte es gar nicht so schwierig sein, Kontakt zu erhalten oder liegt es doch daran, dass die Perspektive ostdeutscher Antifas nicht in die eigenen Schablonen passt: https://unrast-verlag.b-cdn.net/wp-content/uploads/downloads/897717244-Antifa-Kalender-2024-Leseprobe.pdf

In der „Zeit zu Handeln“-Erklärung findet sich nicht ein einziger Aspekt, auch sich unterscheidenden Betrachtungen von Antifas aus dem Osten wieder. Ob es eine über Generationen weitergegebene Überheblichkeit und Arroganz den „Ossis“ gegenüber ist oder bloßes Desinteresse brauchbarer und notwendiger Analysen der extremen Rechten aus der ehemaligen Zone (https://www.inventati.org/leipzig/?page_id=2663), vermögen nur die bisher 17 unterzeichnenden Zusammenhänge beantworten zu können.

2.1 Zersplitterung von zentralen Aktionstagen

Zu den „Sorgenkindern“, fangen wir mit dem 1. Mai an und lassen das aus NRW vergessene „Sorgenkind“ Berlin aus dem Jahr 2007 antworten (Triggerwarnung, Antideutsche der TOP Berlin aus UG):

  1. Wäre er es nicht schon, man müsste den 1. Mai in Berlin für tot erklären. Zugrunde gegangen zwischen Revolutionssimulation und Maibaumsause, protektionistischer Standortdemo und infantiler Regression, Myfest-Bespaßung und Arbeitsfetischismus. Erstickt nicht etwa an Passivität, sondern an Pseudoaktivität. Deshalb wäre der erste kritische Schritt die Weigerung am Teilnehmen. Nicht etwa, um mit dem Schweinesystem seinen Frieden zu schließen, sondern gerade um den Wahrheitsgehalt seiner Utopie zu retten, gilt es den 1. Mai als ritualisiertes Spektakel zu beerdigen um sein kritisches Potential wiederzubeleben. Schon der Form halber rufen wir deshalb dazu auf, bereits am 30. April der Notwendigkeit zur radikalen Veränderung des schlechten Bestehenden einen Ausdruck zu verleihen. Wir tun dies, nicht weil der 30. April ein besserer Tag ist, sondern weil die Überwindung des Kapitalismus viel zu wichtig ist, als das sie symbolisch auf den 1. Mai beschränkt bleiben darf…. Betrachtet man Staat und Kapital materialistisch, ist weniger die Frage entscheidend, wer von beiden »Arsch-« und wer »–Loch« ist. Wichtiger ist die Einsicht, dass der kapitalistische Gesamtzusammenhang auch in Zukunft als Garant für das Hervorbringen von Scheiße zu gelten hat. Das Ganze ist das Falsche. Deshalb muss in letzter Konsequenz auch die Forderung nach einer »Repolitisierung« des 1. Mai radikal zurückgewiesen werden. Es ist der Aufruf, sich an die Regeln des Spiels zu halten. Was das Schweinesystem verdient ist nicht den Dialog, sondern ein unmissverständliches: Fuck You! Wir wollen keine Verbesserungsvorschläge machen, sondern den engen Korridor der Verbesserungsmöglichkeiten im Bestehenden bis auf seine Grundmauern niederreißen. Seien wir im aufgeklärtesten Sinne destruktiv. Denn es geht um nichts weniger, als die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Einrichtung der Gesellschaft nach humanen Zwecken. (https://web.archive.org/web/20070721170419/http://top-berlin.net/?page_i…)

Die Aussage über Leipzig ist falsch, handelt es sich weder „um zwei linksradikale Bündnisse“ noch um eine „mutmaßliche Dominanz von K-Gruppen und Nahostpositionen“, wie hier zu erfahren wäre (im Openposting verblieben): https://de.indymedia.org/node/377966

Zum Thema Eisenach, ist es beachtlich, dass die „langjährigen Aktivist*innen aus NRW“ wohl vergessen haben oder es nicht mitbekommen haben, dass 2019 eine bundesweite Antifa-Demo ohne Instrumentalisierung von ML-Gruppen ausgekommen ist (https://irgendwoindeutschland.org/pressemitteilung-ein-anderes-eisenach-ist-moglich/). Im Gegenteil, die MLPD-Sekte sogar eine Gegenkundgebung gegen die Antifa-Demo veranstaltete und schon länger gegen den Thüringer Ratschlag hetzt (https://ratschlag-thueringen.de/).

Wir nehmen hier keine Wertung der Gründe vor, warum nicht zusammengearbeitet wird. Wir stellen lediglich fest, dass eine Minderung der Kampfkraft kontinuierlich ansteigt, die, wie wir denken, aktuell jedoch verstärkt gebraucht wird, um überhaupt handlungsfähig auf die weiteren Entwicklungen der Faschisierung reagieren zu können.

Als ostdeutsche Antifas wissen wir sehr wohl, dass diese erklärte „Kampfkraft“ nicht von der Beteiligung von YS oder irgendwelcher ML-Sekten und K-Gruppen abhängt. Wir nehmen uns das Recht einer „Wertung“ vor. Weil wir aus unseren Familien-Geschichten die Bedeutung von Stasi, Knast, Jugendwerkhof, Venerologische Stationen… kurzum, des real existierenden Sozialismus in der DDR kennen. Mag die Auseinandersetzung im Westen um die Siegerjustiz-Ausgabe der RHZ im Osten  (https://rotehilfedresden.noblogs.org/post/2020/10/12/ausfuehrliches-statement-zum-schwerpunkt-der-rhz-42016/ / https://ea-dresden.site36.net/veranstaltungen/siegerjustiz/debattenbeitraege/) nicht beachtet worden sein, für die radikale Linke, gerade für die älteren Antifaschist*innen, war und ist es von Bedeutung.

Vielleicht spielt es für eine westdeutsche Linke keine Rolle, welche Inhalte und Werte Personen oder Gruppen auf einer Demo vertreten. Wer keine Ahnung davon hat, was es bedeutet(e) als Antifas im Osten aufgewachsen und aktiv (gewesen) zu sein, sollte sich die Anmerkungen, wie aus NRW verkneifen. Wer Christine Ostrowski nicht kennt, braucht auch nicht von Sahra Wagenknecht schreiben.

Wir appellieren an dieser Stelle, sich auf einen ernstgemeinten minimalen Konsens zu verständigen, zur einheitlichen Abwehr faschistischer Gefahr.  Dies ist kein Ding der Unmöglichkeit, sondern eine Frage des Willens und der eigenen Einstellung. Raus aus dem Elfenbeinturm, runter mit den eigenen Anspruch und erwartungen.

Die Wahrheit ist, im Osten haben wir gar keinen „Anspruch“ oder „Erwartungen“ an eine westdeutsche Antifa. Antifaschistischer Selbstschutz musste hier schon immer eigenständig realisiert werden (die solidarischen Antifas aus dem Westen, die in den vergangenen Jahrzehnten dem Weg in den Osten gefunden haben und den Menschen auf Augenhöhe begegneten, sind hier explizit ausgenommen). Brauchbare Strategien und Konzepte zum Umgang mit der AfD sind auch nicht wahrnehmbar, wie der Parteitag in Essen oder die Ergebnisse in Hessen und Bayern 2023 zeigen.

Richtig ist, dass die Repression, gerade beim „Sorgenkind“ Leipzig in den letzten Jahren zugenommen hat, aber nicht wie alea meint „die Gesellschaft dabei ist, in eine krisenhafte Phase einzutreten“ (https://knack.news/9898), sondern weil sich eine antifaschistische Bewegung im Osten, gerade in Leipzig, an „Lieber militante Experimente als rassistische Katastrophen“ orientierte (https://www.inventati.org/leipzig/?p=3289), dafür mit massiver Repression überzogen wird und mit dem Neonazi-Angriff 2016 in Connewitz bedacht wurde. Deren juristische Folgen im Bewusstsein einer westdeutschen Linken, ebenfalls nicht auftaucht: https://www.inventati.org/leipzig/?p=5364. Auch auf diese Rechnung (https://knack.news/4956), blieben autonome militante Antifas größtenteils sitzen.

Aber immerhin wird ein westdeutsches Bündnis von Antifagruppen am 1. September sich an „Protesten gegen die Wahlerfolge der AfD beteiligen und diese organisieren“, zwar ohne irgendeine Perspektive von Antifas in Ostdeutschland zu vertreten oder sich mit dieser zu beschäftigen, aber die „Kampfkraft“ und „Geschlossenheit der Reihen“, bspw. in Stuttgart, wird den Antifas im Osten zeigen, wie die „Bewegung“ in Bautzen zu machen ist.